Tod unter der Glyzinie by Pierre Magnan

Tod unter der Glyzinie by Pierre Magnan

Autor:Pierre Magnan [Magnan, Pierre]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105601822
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-07-29T16:00:00+00:00


Maître Tournatoire verbeugte sich galant, um Rogeraine die Hand zu küssen, und machte es sich in dem Sessel bequem, den sie ihm zuwies.

Sie hatte ein Faible für ihren Notar. Er stellte ihr ansehnliche Honorare in Rechnung, aber er sah gut aus und versicherte sie stets seiner Ergebenheit. Er war ein Mann, der auf Zehenspitzen ging, um niemanden zu stören, aber er war beredsam und hartnäckig. Wenn man ihm den kleinen Finger reichte, ließ er nicht mehr locker. «Meine Devise ist: Geradewegs zum Ziel!», pflegte er zu sagen. Leute von auswärts amüsierten sich über seine Weitschweifigkeit und sahen in ihr den Beweis für Offenheit. In Wirklichkeit erlaubte er es sich, die meiste Zeit offen zu sein, um bei einigen wenigen Gelegenheiten, auf die es ankam, umso mehr zu verheimlichen.

«Niemand weiß, dass ich hier bin», sagte er. «Ich habe mich in Ihren Hausgang geschlichen, als ich von meinem Fenster aus beobachtete, dass Ihre treue Constance einkaufen ging.»

«Aber wir wollten uns doch heute Abend sehen.»

«Alle zusammen, meine liebe Rogeraine! Ich wollte Sie allein sprechen … Und vor allen Dingen kann ich Sie beruhigen. Ich habe einige Dokumente, die den Nachlass Valaury betreffen, an einem sicheren Ort verschlossen. Sie können ganz beruhigt sein. Ich –»

«Was erzählen Sie mir da? Wovor glauben Sie, sollte ich Angst haben?»

«Verzeihen Sie. Ich hätte diesen Namen vielleicht nicht aussprechen sollen. Ich wollte offen mit Ihnen sprechen, wie üblich …»

«Aber wir haben nie offen miteinander gesprochen.»

Er betrachtete sie amüsiert. Er fand sie schön. Auch er war in sie verliebt gewesen, in seiner Jugend, und er bedauerte, was aus ihr geworden war. Aber nun ja … Sie war einfach viel zu reich. In ihrer Gegenwart konnte man es sich einfach nicht verkneifen, zuerst an das Bankguthaben zu denken, über das sie verfügte.

«Mein Besuch», sagte er, «ist das Ergebnis mehrerer schlafloser Nächte. Ich … In letzter Zeit hatte ich Gelegenheit – über einen Mittelsmann, versteht sich –, einige Immobiliengeschäfte zu tätigen, alles sehr sicher, sehr gewinnbringend, doch es waren dazu Anzahlungen nötig, die meine Mittel geringfügig übersteigen … Also, getreu meiner Devise bin ich ganz einfach gekommen, um Sie zu bitten – oh! natürlich nur für ein paar Monate! –, für mich zu bürgen … Das, meine liebe Rogeraine, ist der wahre Grund meines Besuchs. Da sehen Sie, dass ich wie üblich mit der Tür ins Haus falle. Bitte bedenken Sie, es ist das erste Mal, seit ich für Sie tätig bin …»

Es trat Stille ein, Rogeraine schabte zerstreut mit dem Papiermesser über die Kanten des Buches, dessen Seiten sie eben aufschneiden wollte. Sie blickte auf die kahle Stelle auf dem Kopf ihres Gegenübers, der es unter dem Vorwand der Ehrerbietung vorzog, ihr nicht in die Augen zu blicken.

«Also», sagte sie langsam, «waren auch Sie dabei, als Cadet Lombard starb?»

Maître Tournatoire hob den Kopf und begann verzweifelt zu schielen, um Rogeraines prüfendem Blick zu entgehen.

«Ja», sagte er schließlich, «ich war dabei und …»

«Und dort haben Sie Dinge erfahren, von denen Sie sich sagten, dass es schade wäre, keinen Nutzen daraus zu ziehen. So haben Sie Ihre schlaflosen Nächte verbracht.



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